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Bauernhof am Edersee

Das waren für uns gewiß 10 bewegende Tage

Milchlieferstopp 27.5.-5.6.2008!

Das bedeutete für uns viel Überwindung und Einstellen auf eine wirklich für jeden Bauern absurde Situation: Unser höchstes Gut – die von unseren Kühen gegebene Milch – liefern wir nicht an die Molkerei sondern verfüttern sie an unsere Kälber und verwerten sie als Düngemittel. Das trifft uns bis ins Mark – nicht nur finanziell, sondern auch physisch und psychisch. Oft haben wir uns gefragt: Was machen wir da eigentlich?! Und immer wieder haben wir uns vor Augen gehalten, daß wir hier nichts anderes als eine Investition in unsere Zukunft tätigen.

Das zeigt auch nur, wie sehr man mit dem Rücken an der Wand steht, wenn fast alle Kosten (insbesondere Diesel und Futtermittel) um bis zu 30% nach oben schnellen, gleichzeitig aber die Erlöse um 20% sinken. Wir haben keine andere Wahl – alles Demonstrieren mit Kühen vor Aldi-Märkten etc. hilft nicht mehr und wir müssen zu diesem allerletzten Mittel greifen.

Wer uns schon länger kennt und vielleicht auch schon mehrfach einen Urlaub bei uns verbracht hat, wußte spätestens im Frühjahr 2007 um die prekäre Situation. Schon damals war der Milchpreis um ca. 18% gesunken und wir haben uns da schon ernsthaft gefragt, wie lange wir das wohl durchhalten können. Natürlich haben wir ein zweites Standbein -glücklicherweise – aber man kann auch nicht immer von einem Betriebszweig in den anderen buttern. Wer nur ein bißchen eine Ahnung von Betriebswirtschaft hat, weiß, daß das auf Dauer nicht sein kann. Helmut meinte damals schon scherzhaft: „Meine Frau finanziert mir mein Hobby!“

Wir waren schon recht frühzeitig in den „BDM – Bundesverband der Milchviehhalter“ eingetreten, weil uns dessen Ziele und auch die Handlungsweise überzeugten. Und auch damals schon war ein Milchstreik als letztes Mittel im Gespräch. Im Sommer 2007 erhöhte der BDM bereits den Druck, weil die Discounter die Preise für Milchprodukte drastisch erhöht hatten, ohne daß davon etwas bei uns ankam. Silvia und Martin fuhren damals zu einer Großkundgebung des BDM mit 10000 Teilnehmern in München. Im Herbst 2007 gingen dann unsere Auszahlungspreise nach oben.

Das war wie eine Erlösung! Endlich blieb wieder etwas übrig – und was machten wir? Investieren!: Eine neue Wärmerückgewinnung wurde im Kuhstall eingebaut, die Kühe bekamen neue Gummimatten auf die Liegeflächen, der „Kuhstall-Balkon“ (der Laufhof) wurde weitergebaut … Sogar unsere Molkerei („Schwälbchen“) sprach von einer neuen Zeit und daß die Preise nun dauerhaft auf diesem höheren Niveau bleiben könnten.

Ab Januar 2008 aber gingen die Preise wieder leicht nach unten – saisonal, das kommt vor und war an sich nichts Besonderes. Aber am 18. April 2008 kam dann die Hiobsbotschaft: An diesem Morgen rief uns der Geschäftsführer des hiesigen Bauernverbandes an und teilte uns mit, daß ALDI und die Molkerei Müller (… oder was?!), in den neuen Preisverhandlungen den Preis für die Frischmilch um bis zu 15 Cent gesenkt hatten. Die Reaktion war Sprachlosigkeit – das kann doch nicht sein?! Aber bereits in den nächsten Tagen sahen wir, daß alle Discounter nachzogen und so wurde die Ernsthaftigkeit der Lage immer deutlicher. Unsere Molkerei senkte den Auszahlungspreis auf 35 Cent und kündigte gleich eine weitere Senkung auf 30 Cent an. In Norddeutschland war man bei einigen Molkerei bereits wieder bei 27 Cent angekommen – eine Katastrophe!

Also konnten wir uns das nicht gefallen lassen. Helmut, Vera und Martin nahmen bereits am nächsten Tag an einer Demonstration des Bauernverbandes vor Aldi in Frankenberg teil. In aller Deutlichkeit wurde dort zum Ausdruck gebracht, daß uns diese Preise ruinieren werden.

Leider kommt man durch solche Aktionen nur in die Zeitung – mehr bewegt sich nicht. Der BDM verhielt sich in den anschließenden Tagen sehr still und wir fragten uns schon: na, kommt da nichts?

Zwischenzeitlich hatte Bärbel beschlossen, bei ALDI nicht mehr einzukaufen.

Dann kam der Anruf: Am Montag (26.5.2008) ist eine Großveranstaltung des BDM mit dem Titel „Milchpreisoffensive 2008“ vor der Molkerei Weihenstephan in Freising (diese Molkerei gehört übrigens auch dem Herrn Müller!). Wer fährt mit? Natürlich Bärbel („unser Außendienstmitarbeiter“). Mitten in der Nacht um 2.00 Uhr ging’s los, damit wir rechtzeitig bis um 11.00 Uhr in Freising sein konnten. Wir versammelten uns auf einem Acker vor der Molkerei, mit 9000 Bauern aus ganz Deutschland.

Die Stimmung war ziemlich aufgeheizt und alle warteten im Grunde auf den einen Satz, der ganz am Ende der Veranstaltung vom Vorsitzenden des BDM, Romuald Schaber, gesprochen wurde: „Ich liefere ab morgen meine Milch nicht bei der Molkerei ab!“. „Jetzt geht’s los“ skandierten alle und man spielte über die Lautsprecher das Lied „No Milk today“ von Herman’s Hermits – das jagte einem wirklich die Gänsehaut über den Rücken!

Nun war es also soweit – was sich eigentlich keiner vorstellen konnte, daß es wirklich passieren würde: Wir traten in einen unbefristeten Milchlieferstreik. Die Forderung lautete: Anhebung des Milchpreises auf eine Mindesthöhe von 43 Cent je Liter, Beteiligung der Bauern an den Preisverhandlungen des Milchindustrieverbandes mit dem Lebensmitteleinzelhandel auf Augenhöhe, Abschaffung der Quotensaldierung und Steuerung der Milchmenge in Bauernhand.

Die Stimmung bei der Rückfahrt im Bus schwankte zwischen Euphorie und Entsetzen: Ja, endlich streiken wir – oh, müssen wir jetzt wirklich die Milch wegschütten?! Und es glühten die Handys – alle Daheimgebliebenen mußten informiert werden und alle Milchbauern aufgefordert werden, sich an dem Lieferboykott zu beteiligen. In den nächsten Tagen zeichnete sich dann eine überwältigende Solidarität unter den Bauern ab. Hier im Landkreis Waldeck-Frankenberg haben sich ca. 70 – 80% der Milchbauern am Streik beteiligt. Und sogar der Bauernverband zeigte sich schnell solidarisch und forderte auch die Nichtmitglieder des BDM auf, sich ebenfalls zu beteiligen.

Am nächsten Morgen haben wir uns dann gleich unbeabsichtigt selbst bestreikt – fürs Frühstück hatten wir keine Milch!

Dann standen noch weitere Termine an: Wir wollten Protesteinkäufe tätigen. Denn natürlich zeigte sich der Lebensmitteleinzelhandel zunächst unbeeindruckt und behauptete, es könne gar nicht zu Engpässen kommen. Notfalls würde man die Milch aus dem Ausland holen. So haben wir von zwei Seiten angegriffen und Milchprodukt-Großeinkäufe getätigt und diese den örtlichen Tafeln gespendet.

Natürlich haben wir auch alle Freunde, Nachbarn und Verwandten aufgefordert, sich mit Frischmilchprodukten einzudecken. Bärbel war bereits am Dienstag, 27.5.2008, in Frankenberg und nahm an einer solchen Protestkaufaktion teil. Am nächsten Tag, Mittwoch, 28.5.2008, waren Helmut, Bärbel und Manfred zum Demonstrieren vor der Molkerei in Bad Wildungen. Diese gehört zu HUMANA.

Aber entgegen der Zusage haben sich dort weder Vorstand noch Geschäftsführung gezeigt um vielleicht mal ein Wort mit uns zu reden … Ein vorbeigehender Passant rief uns zu: „Zeigt es den Bonzen mal richtig!“ Überhaupt erfuhren wir von den Verbrauchern, von Nachbarn und Bekannten, auch von unseren Gästen nur Zustimmung und breite Unterstützung.

In den nächsten Tagen kamen dann die Nachrichten, daß hier und da schon die Frischmilchregale in den Supermärkten leer waren. Aber sowohl Molkereien als auch der Handel zeigten keine Gesprächsbereitschaft. Die Molkereien versuchten, Milch aus dem Ausland zu bekommen und zahlten 45-55 Cent für den Liter auf dem Spotmarkt! Dabei wurde auch das immer schwieriger, weil sich ja alle unsere Nachbarländer (Österreich, die Schweiz, Belgien, Frankreich, Holland) sofort mit uns solidarisch erklärt hatten und entweder selbst streikten oder die Ausfuhr ihrer Milch verhinderten.

Silvia und Vera beteiligten sich an Informationsveranstaltungen am 31.5.2008 vor den Supermärkten und verteilten Informationen zum Thema „Die faire Milch“.

Noch immer zeigte sich die Molkereiwirtschaft nicht gesprächsbereit und versuchte auf Zeit zu setzen, um die Streikenden mürbe zu machen. Also mußten weitere Maßnahmen ergriffen werden: In ganz Deutschland kam es ab Montag, dem 2.6.2008, zu Demonstrationen vor den Molkereien und es wurden teilweise auch Blockaden errichtet, so daß Milch weder in die Molkerei noch Milchprodukte aus der Molkerei heraus kamen.

Helmut war auch bei einer solchen Veranstaltung und berichtete hinterher vollkommen entsetzt, daß der dortige Geschäftsführer der Genossenschaftsmolkerei Strafanzeige gegen die Bauern gestellt hat – man stelle sich das mal vor: Er verklagt die eigenen Leute, die Genossen und Eigentümer der Molkerei sind!

Andererseits war die Polizei bei dieser Aktion sehr kooperativ. Die Beamten zeigten Verständnis: So wurde z.B. gesagt, das man halt die Blockade zu räumen habe, aber man nicht unbedingt schnell gehen müsse …

Endlich kam es dann zu ersten Gesprächen des BDM und des Bauernverbandes mit dem Milchindustrieverband und dem Lebensmitteleinzelhandel und zugleich kursierten geschickt platzierte Falschmeldungen, daß der Lieferstopp nun beendet sei. Die Gespräche waren aber nicht so erfolgreich, und so mußten wir noch ein paar Tage weitermachen. Zwischendurch hatten wir dann doch Zweifel, ob das ganze wohl zu einem guten Ende kommen würde.

Da kamen dann solche Meldungen wie „Kartellamt ermittelt gegen Milchbauern“, „Schadensersatzforderungen gegen Milchbauern“ und man hatte das Gefühl, das sich nun noch mehr gegen einen wendet. Aber wir sagten uns immer wieder: „Wenn wir das jetzt nicht durchstehen und unsere Forderungen durchsetzen, haben wir für immer verloren … “ – Also machten wir weiter und ließen brav unsere Milch in die Gülle laufen …

Dann kam endlich Bewegung in die Sache: Die Regale in den Märkten wurden leerer, verschiedene Molkereien mußten bereits ihre Produktion einstellen und plötzlich wurde von Seiten des Milchindustrieverbandes Gesprächsbereitschaft signalisiert. Am 3. und 4. Juni demonstrierten Bauern in ganz Deutschland vor den Zentralen des Handels.

Am 5. Juni kamen dann endlich gute Nachrichten: Die erste Molkerei (in Bayern) gab bekannt, daß sie die Auszahlungspreise erhöht. BDM und Bauernverband (endlich kam es auch hier zur Kooperation) hatte mit dem Handel nochmal Kontakt aufgenommen und siehe da: Lidl erhöht die Preise für Frischmilchprodukte und viele andere Ketten zogen nach.

Am Abend des 5. Juni hieß es dann: Morgen fahren wir nach Berlin zu einer Großkundgebung und Treckersternfahrt. Also fuhr Bärbel wieder mitten in der Nacht mit fast 60 weiteren Bauern aus dem Landkreis Richtung Bundeshauptstadt, um dort hoffentlich das Ende des Milchlieferstopps zu besiegeln. Diese Veranstaltung mit 7000 Bauern aus ganz Deutschland am Brandenburger Tor in der prallen Sonne kostete uns wirklich die letzte Kraft: Als endlich die Aufforderung kam, den Milchlieferstopp einzustellen und ab dem nächsten Tag die Milch wieder an die Molkerei zu liefern, war der Jubel groß und nachher im Bus die Erschöpfung und die Nachdenklichkeit um so größer. Und wieder glühten die Handys, denn alle mußten informiert werden, daß nun endlich die Milch wieder dahin geliefert werden kann, wo sie hingehört.

Leider sind wir noch nicht ganz am Ziel angelangt. Aber wir und alle Bauern in Deutschland und Europa haben in dieser Zeit viel gelernt: Nur, wenn man einer Misere wirklich etwas entgegensetzt, Mut und Durchsetzungskraft aufbringt, kann man auch etwas erreichen. Die „Milchpreisoffensive 2008“ wird weitergehen und wir werden nie wieder lockerlassen.

Hier sind ein paar Pressetexte zum Milchlieferstreik:

agrarheute.com v. 26.5.2008

agrarheute.com v. 1.6.2008

HNA v. 4.6.2008

WLZ v. 4.6.2008